Auf dem E1 von Neustadt nach Bad Schwartau
Der Bus hält in Neustadt am Bahnhof an, ich steige aus und fühle mich ganz seltsam unbeteiligt. 35 unbekannte Kilometer Wanderweg liegen vor mir. Eigentlich sollte ich Respekt vor der Entfernung haben. Vielleicht auch ein bisschen Vorfreude verspüren, heute Abend wieder ein Stück weiter gekommen zu sein. Da ist aber nichts. Gar nichts. Ohne mein Zutun setzen sich meine Gehzeuge in Bewegung und tragen mich einfach mit.
Der E1 führt am Bundeswehrgelände vorbei, verläuft entlang von Hafenanlagen und später durch die üblichen Gewerbegebiete mittelgroßer Städte. Erst am Ortsausgang von Neustadt bin ich mit dem Radweg und der Straße alleine. Was soll‘s, so sind wenigstens noch Steigerungen möglich.
Endlich zweigt der Weg von der Landstraße ab und keine 300 Meter weiter, erfreut sich das Auge an einem Ensemble hübscher alter Häuser im englischen Stil. Während ich ein Foto mache, sammeln sich ein Grundstück weiter, drei ältere Bewohner der Häuser in einer Einfahrt zum Tratsch. Ach ist das idyllisch denke ich noch und laufe weiter.
Frauchen, Herrchen und ihr Hund
Auf der Höhe der Bewohner angekommen, rennt mir in diesem Moment ein großer Hund entgegen. Das Tier kläfft und knurrt mich lautstark an und ich weiß erst mal nicht wohin mit mir. Vor und hinter mir sind Hecken und in die Einfahrt zurückziehen, endet spätestens an der Garage. Der Versuch seitwärts etwas auszuweichen, bringt mangels Platz nicht viel und führt dazu, dass der Hund sich noch mehr aufregt und noch näherkommt. Er ist jetzt so nah, dass sein Atem an meiner Hand zu spüren ist.
Die Reaktion des Hundehalters darauf, ist nicht gerade vertrauenerweckend.
„Sie müssen mit dem Hund schimpfen. Normal macht der nichts.“
Idiot schießt es mir durch den Kopf. Was macht dein Hund dann, wenn ich laut werde?
„Nun komm schon da weg“, raunzt er den Hund dann an. „Der macht nix. Sie können ruhig weitergehen“, bleibt die einzige Reaktion auf das Kläffen seines Hundes.
Langsam gehe ich seitwärts an der Hecke entlang, bis der Hund endlich zu seinem Herrchen abdreht. Eigentlich hätte ich diesen drei (Zensur wegen beleidigenden Ausdrücken) gerne gesagt was ich von ihnen halte. Ich habe aber soviel mit mir selbst zu tun, dass ich einfach schweigend meinen Weg gehe. Ich weiß nicht, was sich diese Menschen dabei denken. In diesen Situationen fühle ich mich hilflos ausgesetzt und nie von den Haltern oder Halterinnen ernst genommen. Es hat für mich schon etwas von Gewalt, der ich da ausgesetzt bin.
Den Abzweig verpassen kann auch mal schön sein
Ganz mit meinem Inneren beschäftigt, verpasse aber in der Aufregung den Abzweig des E1, hinter den Häusern. So langsam beruhigt sich dann auch wieder der Puls und der Kopf nimmt die Landschaft wieder wahr. Mitten in den Getreidefeldern schaut das Gut Wintershagen hervor und die Augen meldet wieder Idylle an den Kopf. Gleich darauf vermissen Augen und Kopf dann aber auch das Andreaskreuz des E1. Ein Blick auf das Navi verrät, ich bin zu weit gegangen.
Ohne den (zensiert) Hund wäre ich nicht bis hierhergelaufen. Dann hätte ich nicht diesen schönen Gutshof entdeckt. Anderseits mache ich jetzt einen Umweg. War das nun gut oder schlecht? Wie so oft, ist es vermutlich sowohl als auch und weder noch. Meist eine Frage dessen, was man daraus macht.
Zurück auf dem E1 schwingt sich der Schotterweg durch die Felder. Das Getreide rechts strahlt goldgelb im Sonnenlicht, das Getreide links im sanften grün. Von oben strahlend blauer Himmel und als Farbtupfer schaut ein schöner alter Baum über dem Horizont. Solche Wege könnte ich ewig gehen.
Von Övelgönne nach Altona
Nicht ganz so ewig entfernt, endet der Weg in Övelgönne. Ne, nicht die Flaniermeile am Hamburger Elbstrand. Einer von den vielen Gutshöfen der Region ist der Namensvetter. Övelgönne stammt wohl von „ant oever gün“. Also jemand der vom jenseitigen Ufer kommt. Der kam auf jeden Fall hierher und dann wurde die ganze Ecke hier danach benannt. Sehr pragmatisch.
Nach und nach wurden es immer weniger hofdienstpflichtigen Bauern, die den Buckel für den Herrn krumm machen durften und so teilte man die Region weiter auf. Der nächste Ort heißt nun Hof Altona. Bis dahin und noch ein ganzes Stück weiter, ist wieder mal die Straße meine Begleiterin.
Tapp, tapp, tapp, tapp, Gleichklang, Gleichschritt, Gleichmut. Die Gedanken wandern ihre eigenen Wege. Die Gedanken denken an das Buch von Karin Baseda-Maass über Ihren Weg auf dem E1. Was sie und ihr Mann auf diesem Abschnitt erlebt, gedacht haben? Ich muss das Buch mal wieder aus dem Schrank holen. Zeit für lange Winterabende mit einem Glas Rotwein.
Die seltsamen Windungen des E1
Kurz nachdem die B76 gequert ist, endlich mal ein kleines Stückchen Naturweg durch den Wald. Die Freude über den Weg währt nicht lange. Am Ortseingang von Groneberg endet die Idylle schon wieder.
Der E1 macht einen Schlenker, um ein kleines Stück Taschensee mitzunehmen, um schon wenig später den See wieder über einen Hohlweg zu verlassen. Die Luft riecht würzig nach Sommer und Erde. Dann kommt spontan wieder die Sonne raus und taucht den Hohlweg in ein magisches Licht, wie von Elfen und Feen. Ein wenig Glitzer fehlt noch in der Luft und ich sehe, wie sich die Waldgeister zu ihren luftigen Tänzen zwischen den Sonnenstrahlen versammeln.
Und schon wieder macht der E1 einen Schlenker. Diesmal entlang der B432. 400 Meter Bundesstraße mit viel Lärm, um 200 Meter länger am Großen Pönitzer See entlang zu laufen. Den See könnte man auch über einen kürzeren und ruhigeren Weg erreichen. Nun ist’s halt mal so.
Für einen Samstag mit Badewetter ist es auf dem Seeweg noch recht ruhig. Die Sonne hat sich jetzt wohl entscheiden etwas länger zu bleiben und lässt den See in ihrem Licht glitzern. Der Schatten der Bäume und die leichte Brise über den See halten die Temperaturen auf einem sehr angenehmen Wanderniveau.
So träume ich wieder mal vor mich hin und hätte beinahe den Abzweig verpasst. Das wäre ungeschickt wegen dem dann anstehenden Umweg. Aber noch viel ungeschickter, ich hätte das Café an der Badestelle verpasst. Ein Schattenplatz ist frei. Wie bestellt für mich. Und von mir bestellt, bekomme ich einen Kaffee, ein Stück Kuchen und ein Radler. Herrliche Welt.
Staubige Pisten und lange Straßen
Die Pause hat Füßen und Seele gutgetan. Das Team Wolfgang ist bereit für die zweite Hälfte. Es folgt ein Stückchen Wald, Häuser, ein Stückchen Wald, ein bisschen durch die Felder, wieder Häuser und dann wieder Wald. Und dann satte zwei Kilometer auf staubiger Piste, auf der auch Autos fahren dürfen. Tapp, tapp, tapp, tapp, Gleichklang, Gleichschritt, Gleichmut. Schritt für Schritt folge ich dem staubigen Weg.
Zum Glück fährt auf der ganzen Strecke niemand mit dem Auto. Eine ordentliches Staubbad ist mir so erspart geblieben. Auch hier wäre es möglich, die Piste mindestens teilweise durch eine andere Wegführung zu umgehen. Auch hier bleibt für mich ein Fragezeichen.
In Pansdorf gibt es einen Bahnhof, so könnte ich den Tag für heute beenden. Meine Beine melden mir noch volle Einsatzbereitschaft und so beschließen wir weiterzulaufen. Wieder mal ein Stück auf der Straße, dann durch einen Wald und durchs Feld um dann auf der K 18 zu landen. Wieder eineinhalb Kilometer den E1 mit Autos teilen. Wegen der Landschaft kann es schlecht sein. Es ist wohl der Pariner Berg, auf den man die Wanderer locken möchte. Mit 76 Meter keine Hoheit und der Ausblick hält sich in Grenzen. Ein Blick auf die Karte lassen attraktivere Möglichkeiten unten an der Schwartau vermuten.
Kurz vor Bad Schwartau wird es dann nochmal viel naturnäher. Das ändert aber nichts mehr daran, dass der Gesamteindruck von dieser Etappe eher durchwachsen ist. Im Zug sitzend dominiert aber schon wieder die Freude darüber, ein neues Stück des E1 kennengelernt zu haben.
Der Verlauf meiner Etappe auf Komoot, entspricht nicht immer dem original Verlauf des E1. Manchmal habe ich mich verlaufen oder ich musste noch bis zum nächsten Bahnhof weitergehen. Die originalen Etappen habe ich vorher bei „Hiking Europe“ heruntergeladen.
„Original-Track von Hiking Europe / Neustadt – Bad Schwartau“
4 Comments
Michael-wandert
Negative Erfahrungen mit großen Hunden musste ich auch schon sammeln – aber nicht bereits in SH, sondern erst in Norditalien. Dort mäandert der E1 (oder war es eine meiner E1′ – Routen?) von Bauernhof zu Bauernhof. Auf jedem dieser Höfe wachte ein großer, scharfer Hund und es war immer spannend, was man vorfand. Hund hinter Zaun – gut! Hund angeleint – auch gut. Hund frei laufend – nicht gut. Einmal musste ich auf ein Feld ausweichen und in großem Bogen um das Gehöft gehen…
Erstaunlich, dass Karin Baseda-Maass immer noch von E1-Wanderern gelesen wird. Das Buch ist ja schon mehr als 20 Jahre alt, ihre Wanderung durch SH war 1993. Ich habe es mindesten drei Mal gelesen, immer im Winter ganz und in Teilen immer auch vor den Etappen, die ich gehen wollte.Was lese ich zu Deiner Etappe: „an der Landstraße fraßen wir Kilometer. Kopf gesenkt, immer geradeaus zum Pariner Berg bis die Socken qualmten …“
Deine bisherigen Erzählungen haben auch das Zeug, in ein Buch gegossen zu werden…
By the way; wo ich doch nun a jour bin… Darf ich Deine Internetsite auf meiner Seite verlinken? Ich tue das gerne, wenn ich eine Site, die sich mit der Wanderung auf dem E1 beschäftigt, besonders interessant finde. Es gibt schon andere interessante Links auf meiner Seite.
Wolfgang Kromat
Karins Buch weilt auch schon recht lange in meinem Schrank und sieht auch schon deutlich abgegriffen aus. Das Buch trägt die Spuren viel zu langer Winterabende auf dem Sofa.
Schön, dass Du die Etappe zu Pariner „Berg“ zitiert hast. Sie schreibt recht locker, auch von den Etappen die mal nicht so doll waren. Immer mit einem Schuss Selbstironie.
Wenn Du meine Site bei Dir verlinken willst, dann mach das gerne. Dank deiner Frage habe ich auch die Seite bei Dir gefunden. Jetzt gibt es noch mehr zu lesen. Super, Dankeschön.
Vielleicht ist so eine Site mit Links zu anderen Sites auch mal was für meine Site. Der nächste Winter kommt bestimmt. Und so viele Ideen 😉
Michael-wandert
die Verlinkung ist erfolgt. Vielen Dank für die Erlaubnis. Nun harre ich Deines nächsten Wanderabenteuers.
Wolfgang Kromat
Super, Dankeschön. Jetzt muss ich mir ja noch mehr Mühe geben. Sonst sind die Leser deines Blogs enttäuscht 😉