Deutschland der Länge nach / Flensburg – Eckernförde

Zusammen mit meiner Lebensgefährtin Ulrike, stehe ich morgens am Bahnhof in Eckernförde. Ulrike wird mich auf der ersten Etappe von Flensburg zurück nachhause begleiten. Denn Rest der Tour kann sie leider nicht mitfahren. Sie hat einem Job im Tourismus und im Tourismus muss man arbeiten wenn andere Urlaub machen.

Museumswerft Flensburg
Museumswerft Flensburg

Der Zug nach Flensburg fährt in den Bahnhof ein und mit dem Öffnen der Tür wartet schon das erste Abenteuer auf uns. Das viel zu kleine Fahrradabteil ist schon bei der Ankunft des Zuges mit drei Rädern fast überfüllt. Mit etwas List und Tücke schaffen wir es dann doch, unsere beiden Räder in den Eingangsbereichs des Zuges zu zwängen. Nun ist endgültig kein Durchkommen mehr.

Während der Zug gen Norden rollt, entwickelt sich eine Unterhaltung mit einem der anderen Radfahrer. Er startet wie wir ebenso in Flensburg und möchte von dort aus Skandinavien unter die Räder nehmen. Erst durch Dänemark bis nach Frederikshavn und von dort nach Oslo übersetzend, möchte er einfach schaue wie weit er in den nächsten vier Wochen nach Norden kommt. Sein Ziel ist sich treiben lassen und immer schauen wo ihn der nächste Tag führt.

Von hier aus mit Muskelkraft

Am Bahnhof in Flensburg trennen sich dann die Wege der kleinen Radlerschar. Draußen, auf dem Vorplatz, zeugen kleine Schildchen von einer ähnlichen und doch ganz anderen Art Deutschland kennenzulernen. Ein kleines Andreaskreuz verweist auf den Europawanderweg Nummer eins. Der deutsche Teil beginnt nicht weit von hier an der dänischen Grenze. Auch dieser Wanderweg führt einmal von Nord nach Süd durch unsere Republik. Allerdings verlässt er am Bodensee Deutschland und ich möchte ja nach Füssen. So wird mich dieser Wanderweg für den Anfang noch ein Stück begleiten und später trennen sich unsere Wege.

Flensburg am Hafen
Flensburg am Hafen

Nach einem ersten Foto unter den Wegweisern, spricht uns ein Taxifahrer an. Das erste Mal werde ich nun nachdem Woher und Wohin gefragt. „Zuerst mal wieder nach Eckernförde fahren“, antworte ich. Dann möchte ich von ihm wissen ob die Entfernungsangabe nach Schleswig, auf dem Schild so richtig angegeben ist. Dabei fällt mir auf, dass ich es vermeide mein endgültiges Ziel Füssen auszusprechen. Der Kopf weiß es zwar schon, aber in meinem Inneren ist es noch nicht angekommen. Zu oft schon habe ich darüber gesprochen und musste es wieder verschieben.

So sportlich wie wir ausssehen, schaffen wir das!

„Das mit den 42 Kilometern bis nach Schleswig, das kommt schon hin. Wie lange wollt ihr denn bis Eckernförde unterwegs sein“, fragt der Taxifahrer zurück. Es hört sich so an als wollte er wissen wie viele Tage wir dafür benötigen. Ich erzähle ihm, dass wir heute Abend wieder zuhause sind. Darauf schaut er uns prüfend an und stellt dann überzeugt fest: „So sportlich wie sie aussehen, schaffen sie das auch.“ Nun sind wir beruhigt, dass ein Taxifahrer uns solch eine weite Strecke zutraut.

Museumswerft Flensburg
Museumswerft Flensburg

Zwei weitere Radfahrer, die auch mit uns im Zug gefahren sind, gesellen sich jetzt noch dazu. Aus dem weiteren Gespräch mit dem Taxifahrer entnehmen sie meine Reiseplanung und sind sie zutiefst beeindruckt. „Sie seien ja nur Weichei-Radler“. Gerade mal eine Woche sind sie an der Ostsee unterwegs gewesen. Das waren ja auch nur 400 Kilometer, was ist das schon gegen einmal quer durch Deutschland. Nachdem ich nun noch berichte, dass ich ab Morgen mit Zelt und allem anderen Notwendigen alleine unterwegs bin, erwidert Sie schon fast entschuldigend: „Wir haben unser Gepäck transportieren lassen und sind von Hotel zu Hotel gefahren. Alles schon vorgebucht.“

Endlich geht´s los

Nach dieser durchaus interessanten Einstimmung, lassen wir uns erst einmal mit den Räder an den Hafen runter rollen. Das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite und so beeindruckt der Blick über den Hafen mit seinen seicht schaukelnden Segelbooten. Die weißen Bootsrümpfe spiegeln dich im tiefen blau des Ostseewassers und das ein oder andere Segel strahlt im Azur des Himmels.

Ein besonderes Schmankerl in Flensburg ist der Museumshafen. Hierher zieht es mich immer bei einem Besuch in Flensburg. In der Museumsschreinerei werden alte Boote wieder zum Leben erweckt oder ganz im traditionellen Handwerk neu aufgebaut. Es riecht nach harzigem Holz und salziger Meerluft. Ein kleines Café direkt gegenüber der Museumsschreinerei lädt mit leckerem Kuchen und dem Blick über die Förde schon zum ersten Stopp ein. So gestärkt kann es nun endlich losgehen.

Rastplatz am Ochsenweg

Die Museumswerft wird nun als offizieller Startpunkt meiner Deutschland Durchquerung bestimmt und dazu gehört natürlich auch ein offizielles Startfoto. Vor dem Eingangsgebäude in falunröd (schwedenrot), werden Rad und Fahrer in Position gebracht und während sich Ulrike nach Kräften bemüht, mir ein fotogenes Lächeln zu entlocken, rollt sich vor meinem geistigen Auge, wie ein überdimensionaler Teppich, die Landschaft vor mir aus, die ich in den nächsten Wochen mit dem Fahrrad durchqueren werde. Sanfte Hügellandschaft in Schleswig-Holstein, die Niederungen der Elbe, Heide in Niedersachsen und. Ja und? Dann reicht meine Vorstellungskraft nicht mehr weiter. Wie eine Wand steht er da, der Harz und versperrt den Blick nach Süden. Verbirgt all das, was in wenigen Wochen schon wieder Erinnerung sein wird.

Nach einigen Versuchen ist Ulrike erfolgreich und das Startfoto ist im Kasten. Langsam lassen wir uns an der Promenade entlang aus der Stadt heraustreiben. Vorbei an den historischen Jachten und durch die flanierenden Menschen, schlängeln wir uns mit den Rädern über die Hafenpromenade. An der Hafenkante spielen Kinder, die Eltern halten bei den Balancierkünsten auf der Kaimauer den Atem an und den chillenden Jugendlichen gefällt das wohlige Nichtstun an der frischen Meeresluft. Die Menschen sind entspannt und genießen die in diesem Sommer so seltenen Sonnenstrahlen.

Der Ochsenweg, Handelsweg und Pilgerroute

Schon seit der Bronzezeit führt mitten durch Schleswig-Holstein der Ochsenweg von Dänemark aus nach Wedel. Noch bis zum Anfang des 19 Jh. war dieser Weg einer der wichtigsten Handelsverbindungen für den Norden. Alles was vier Füße hatte und die lange und gefahrvolle Strecke lebend überwinden konnte, wurde auf diesem Weg gen Süden gebracht. Der dänische Name Heervejen, lässt allerdings auch erahnen, dass nicht nur friedliche Ochsen mit ihren Treibern auf diesem Weg unterwegs waren. Wir sind uns sicher, dass wir heute weder Ochsen noch Heer oder anderes zwielichtiges Gesindel antreffen werden und wollen von der Hafenspitze aus den Weg bis Schleswig folgen.

Aus Flensburg heraus zeigt sich der Ochsenweg zuerst von seiner modernen Seite. Hauptverkehrsmittel ist das Auto und der Radfahrer wird möglichst wenig störend, als Randerscheinung auf ebensolchen Wegen geführt. Diese unangenehme, aber nicht neue Erkenntnis hält zum Glück nur bis zum Stadtrand an. So als hätte jemand einen Schalter umgelegt befinden wir uns plötzlich mitten in der Ruhe, fernab jeglicher Hektik und Straßenlärms. Auf gut asphaltierten Wegen schlängeln wir uns durch, die für diese Landschaft so typischen Knicks, kleine Felder und Wiesen. Die Ochsen, die dem Weg ihren Namen gaben, grasen friedlich nebenan auf den Weiden.

Großsteingrab bei Munkwollstrup

Doch schon lange bevor die ersten Ochsen auf dieser Handelsroute entlang getrieben wurden, lebten in dieser Region Menschen. Im Arnkiel Park bei Munkwolstrup treffen wir auf die Zeugnisse einer lang vergangen Kultur. Von ursprünglichen sieben sogenannten Langbetten aus der Jungsteinzeit, waren einzig noch 17 der tonnenschweren Findlinge erhalten geblieben.

Mit diesen Resten und weiteren 140 Findlingen aus dem nahegelegenen Kieswerk, hat man mit Baggern und LKW eine der Grabstätten rekonstruiert. So leicht wie wir es heute haben hatten es die Menschenaus der Jungsteinzeit nicht. Viel Muskelkraft und die Fähigkeit mit einfachen Hilfsmitteln großes zu bewegen, machte es möglich, den Toten eine Stätte für die Ewigkeit zu bauen. Spuren von den Lebenden sind dagegen heute kaum noch zu finden.

Das erste frische Obst hängt an den Bäumen

Die wenigen kleinen Orte die wir durchqueren schmiegen sich möglichst unauffällig in die Landschaft ein. Zur absoluten ländlichen Idylle fehlen nur noch die Hühner und spielende Kinder auf der Straße. In Sieverstedt lädt uns eine Obstwiese zu einer Pause ein. Windschiefe Bäume strecken ihre verknorpelten Äste dem Sonnenlicht entgegen und tragen reife Früchte die sich vortrefflich für Schneewittchens böse Schwiegermutter eignen. Wir nehmen das Risiko in Kauf und stecken uns einige der Äpfel als Vorrat in die Packtaschen und der ein oder andere Apfel findet sofort den Weg in die menschliche Probierstube.

Rastplatz am Ochsenweg
Rastplatz am Ochsenweg

Zwischen den Obstbäumen stehen zwei mächtige, zu Hörnern geformte Baumstämme. Sie symbolisieren den einstigen Handelsweg den unzählige Tiere hauptsächlich vom Norden in den Süden genommen haben. Einige von den Tieren wurden damals schon auf Schiffe geladen und zum Beispiel nach England verbracht. Die Globalisierung ist keine Erfindung des letzten Jahrhunderts.

Mit welchen Mühen es wohl verbunden war, wenn Bauern ihr Vieh tagelang bei jedem Wetter nach Süden getrieben haben? Wie viele Bauern konnte ihr schwer verdientes Geld nicht mit nach Hause bringen, weil man es ihnen auf dem Heimweg mit Gewalt oder Hinterlist wieder abgenommen hat?

Für die meisten der Bauern war der Bau der Bahnlinie Ende des 19 Jh. ein Segen. Auf den Wagen der Bahn ließen sich die Tiere schneller und auch sicherer ihrer neuen Bestimmung zuführen. Schnell verlor damit der Weg seine einstige Bedeutung und mit ihm auch all jene ihre Lebensgrundlage, die am Rande und mit dem Weg ihr Geld verdient haben. Gastwirte, Handwerker und das zwielichtige Gesindel, musste sich nach neuen Einnahmequellen umschauen.

Für lange Zeit war er dann vergessen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Menschen mobiler. Wachsender Wohlstand und immer mehr Freizeit lockten Touristen in die Region. Beste Voraussetzungen das reiselustige und entdeckungsfreudige Volk, auf dem alten Handelsweg durch das Hinterland zu locken.

Bei Schleswig erwarten den Besucher drei Generationen Baukultur

Bei Schleswig verschwindet langsam die Sonne hinter einer grauen Wolkendecke und es wird merklich kühler. Zuerst wandern die Windjacken aus den Taschen heraus. Später dürfen sich dann noch die Beinlinge schützend um unsere Waden legen. Welch eine geniale Erfindung doch diese einfachen Schläuche, aus dünnem und elastischem Stoff sind. Zur Not reisen sie unauffällig in einer Trikottasche mit, um dann bei sinkenden Temperaturen aus einer kurzen Hose eine Lange zu zaubern.

Zur Zeit meiner ersten Planung zur Deutschlandtour in den 70ern, musste noch abgeschnittene Jeans aus schwerer Baumwolle als Radhosen herhalten. Das Zelt, ebenfalls aus Baumwollstoff, war schwer und empfindlich gegen Nässe. Oder nur geringfügig leichter und dafür kaum größer als die Notunterkunft von Nachbars Dackel.

Ochsenweg vor Schleswig
Ochsenweg vor Schleswig

Am Ende der Schlei streckt sich der Wikingturm dem Himmel entgegen. In den 70ern wollte man zeigen was sich aus dem Wundermaterial Beton alles errichten lässt. Wie in vielen anderen Städten, glaubte man an das unendliche Wachstum und zeigte nur zu gerne in großen Bauten wie modern die Stadt ist. Schon lange sind der Turm und er dazugehörige Hafen eher ein Wahrzeichen verfehlter Stadtentwicklung. Der Turm wirkt ungepflegt und deplatziert und unten im langsam vor sich hin rottenden Hafen dümpeln einige wenige Freizeitboote lustlos an den verfallenden Stegen rum.

Wer nun aber glaubt man hätte aus diesen Entwicklungen gelernt, der muss sich eines der vielen ehemaligen Militärgelände in der Region anschauen, auf denen heute kräftig gebaut wird. Einst war die Bundeswehr einer der größten Arbeitgeber in Schleswig-Holstein, doch mit dem Ende kalten Krieges wurde unser Feind zum Nachbarn und die Bundeswehr musste schrumpfen. Riesige Grundstücke mit veralteter Bausubstanz warten auf Investoren und die versprechen mit großen Bauvorhaben, blühende Landschaften.

Dass die Bevölkerungszahl insgesamt sinkt und die Grundstücke nicht immer Bestlage haben, wird dabei geflissentlich vergessen. So findet man schon die ersten halbfertigen Baustellen vor, auf denen die großen Projekte geplant waren und einige dieser Projekte suchen jetzt schon neue Besitzer weil sich die Gründer überhoben haben. Vielleicht sollte man Gebäude wie den Wikingturm zum Denkmal erheben. Mit der Betonung auf Denken.

Gottorfer Schloss und Haithabu gehören in ein andere Zeit

Noch in Sichtweite des Wikingturms, passieren wir das Gottorfer Schloss. Einst residierte hier Carl von Hessen-Kassel. Als Hesse freut es mich, dass einst ein Landsmann hier regiert hat, für die Weltgeschichte ist seine Herkunft aber unerheblich. Viel wichtiger war es, dass unser Hessen Karl im Jahr 1790 die Leibeigenschaft auf seinem Gut Gereby bei Kappeln auf hob. Von nun an durften die Bauern als freie Menschen ihr eigenes Land bestellen und sie durften von nun an auch Steuern bezahlen.

Haithabu am Haddebyer Noor
Haithabu am Haddebyer Noor

An einem Nebenarm der Schlei, dem Haddebyer Noor, gründeten vor rund tausend Jahren die Wikinger die Siedlung Haithabu. Hier war die Schnittstelle für den Handel in Ost West und Nord Süd Richtung. Der Ochsenweg kreuzte hier die kürzeste Landverbindung zwischen Nord- und Ostsee. Alle Waren auf den wichtigen Handelsrouten mussten hier vorbei.

Nur schwer lässt sich erahnen wie es vor rund tausend Jahren hier ausgesehen hat. Eine Stadt mit über tausend Einwohnern. Dazu gesellten sich noch Viehhändler die hier Station machten. Edelmetall aus dem Orient, Sklaven und Gewürze und viele andere Güter aus aller Welt wechselnden hier den Besitzer. Wurden auf Eseln, Booten oder dem eigenen Rücken weitertransportiert. Die wenigen Hütten die rekonstruiert am Ufer des Haddebyer Noors stehen können nicht annähernd das Treiben, die Gerüche und das Leben vom Frühjahr bis zum Winter wiedergeben. Hier wurde geliebt, gehandelt, gestritten, gemordet. Alles wie im richtigen Leben.

Kurz nach der Wikingersiedlung verlassen wir den Ochsenweg und nähern uns langsam unserem Zuhause in Eckernförde. Noch eine letzte Nacht kann ich im eigenen Bett genießen, bevor ich ab morgen in erster Linie in meinem tausend Sterne Stoffhotel übernachten werde.


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