Deutschland der Länge nach / Wertheim – Creglingen
Schon verabschiede ich mich wieder vom Mainradweg. Von Wertheim aus, werde ich nun dem Radfernweg „Liebliches Taubertal“ folgen. Erwartungen an das Liebliche Taubertal habe ich keine. Lediglich meine Mutter klingt mir da noch im Ohr. Früher hat sie mir immer vorgeschwärmt, wie schön es in der Region sei und ganz besonders gefiel ihr wohl Rothenburg ob der Tauber. In meinen Erinnerungen haben sich einige alte Mauern, mit vielen alten Menschen, Kuchen und Kaffee Hag festgesetzt. Nun bin ich mal gespannt, was auf mich zukommt.
Die Tauber mündet direkt bei Wertheim in den Main. So nimmt mich das Tal des kleinen Flusses schon am frühen Morgen auf und ich verschwinde in die Morgenkühle. Ein Reiher sucht tief unten in der Tauber nach seinem Frühstück. Ein „wildes Tier“ würde den geplanten Vortrag über meine Radreise durch Deutschland mit Sicherheit besonders Aufwerten. Also anhalten und den Fotoapparat herausholen.
Doch wie schleicht man sich an ein wildes Tier an, ohne dass es davon Wind bekommt? Ich versuche so langsam und leise wie möglich, mich bis zur Leitplanke am Straßenrand vorzuschleichen. Bis jetzt hat der elegante graue Vogel nichts von mir gemerkt. Jetzt noch Blende; Belichtung und Co. einstellen, dann ist er abschussreif. Denke ich. Und der Vogel?
Im richtigen Augenblick macht er zwei Schritte nach vorn und verschwindet hinter einem Strauch. Also schnell meine Position angepasst und nächster Versuch. Der Reiher schaut zu mir hoch, schüttelt sich kurz, als sei ihm der Paparazzi mit seinem Riesenobjektiv zu blöd, erhebt sich dann kurzerhand in die Luft und verschwindet hinter den Bäumen. So bleibt mir für meine Erinnerungen, nur ein Bild von einem Vogel ohne Kopf zwischen den Büschen.
Satzenberg – Jugend Work Camp lässt Kulturlandschaft wieder aufleben
Die Hänge entlang der Tauber sind über weite Strecken in Terrassen angelegt. Die Obstbäume strecken ihre reifen Früchte der Sonne entgegen und wenn ich nicht gerade losgefahren wäre, würden sie mich zu einer Pause verleiten. Das Rad rollt locker auf dem guten Asphalt dahin und dass es hier keinen Radweg gibt stört nicht weiter. Der Verkehr hält sich in Gren
zen und die wenigen Autofahrer, die mich Überholen, verhalten sich rücksichtsvoll. Nach einer Kurve ändert sich das Landschaftsbild abrupt. Der Blick kann ungehindert den Hang entlang und hinauf gleiten. Die schönen knorrigen Obstbäume sind plötzlich verschwunden.
Erst auf dem zweiten Blick fällt mir auf, dass die Mauern die den Hang in Terrassen teilen, neu aufgesetzt sind. Ein gutes Stück den Hang hinauf, sind einige Arbeiter dabei neue Weinreben zu pflanzen. Auf dem Baucontainer einige Meter weiter auf dem Parkplatz, prangt in großen Lettern der Schriftzug „Satzenberg – Jugend Work Camp“. Was da wohl wieder dahinter steckt?
Ein Zeitungsartikel neben einigen Bildern, klärt über ein spannendes Projekt europäischer Jugend auf. Der Reicholzheimer Satzenberg ist die letzte verbliebene Terrassen-Weinbergsteillage an der Tauber. Schon 2009 hat der Heimatverein Reicholzheim einige Vorarbeit investiert und die Weinterrassen von den Büschen und Bäumen befreit. Jetzt treffen sich hier einen Sommer lang 17 Jugendliche aus Deutschland, Spanien, Frankreich, Türkei, Estland, Ukraine, Tschechien, und Südkorea um die Mauern vor dem endgültigen Verfall zu retten. Gemeinsam arbeiten sie daran, ein Stück Kulturlandschaft wieder aufleben zu lassen.
Keine Zeit für alle Kirchen
Keine drei Kilometer weiter, lockt das Kloster Bronnbach schon wieder zum Anhalten. Kaum ist das Fahrrad abgestellt, kommt eine etwas älter Dame mit dynamischen Schritt auf mich zu. Sie stellt mir die üblichen Fragen, die immer wieder von meinem vollbeladenen Fahrrad ausgelöst werden. Woher kommen sie denn und wohin wollen sie noch.
„Oh nach Füssen wollen Sie noch“, stellt sie erfreut fest. „Das ist eine wunderbare Strecke. Die romantische Straße entlang, da gibt es noch so viel zu sehen“, ist sie sich sicher.
Und damit ich unterwegs auch nichts Wichtiges verpasse, erzählt sie von den Klöstern und Kirchen die ich unbedingt noch besuchen sollte, auf meinem Weg nach Füssen. Im Kopf überschlage ich die Zeit, die all die Besuche noch benötigen würden und stelle fest, dass vier Wochen nicht genügen. Im weiteren Gespräch stellt sich heraus, dass die Beiden schon in Rente und auch mit den Rädern unterwegs sind. Dabei besuchen sie alle möglichen Klöster und Kirchen, um nach deren Geschichte zu forschen.
Nun sind solche kirchlichen Gebäude nicht wirklich das, was ich mir gerne von innen anschaue. Nach der begeisternden Schilderung jedoch, lasse ich mich dann doch auch mal verführen. Innen drin ist ehemalige Zisterzienserabtei schön herausgeputzt.
Der Rundgang außen herum zeigt aber auch ein etwas anderes Bild. Am massiven Sandsteingeländer zum Klostergarten hin, hängt wenig kunstvoll einlaminiert ein Schild, dass das Anlehnen von Fahrrädern wegen der Einsturzgefahr verbietet. Auch das Dach des Nebengebäudes hängt schon ziemlich in der Mitte durch. Da ist es kein Wunder, das den auch Sandsteinfiguren das bröselige Kinn runter zu fallen droht.
Ein Ort weiter, ist man schon zu spät dran mit der Sanierung der Kirche. Hier sind nur noch der Türstock und der Sohn Gottes, der mühsam kniend sein Kreuz auf seinen Schultern trägt, übriggeblieben.
Kleine Himmel in Tauberbischofsheim
In Tauberbischofsheim, versucht die Künstlerin Inge-Rose Lippok, mit Ihrer Installation „Kleine Himmel – Nah Gebracht“, den Passanten den Himmel näher zu bringen. Zu diesem Zweck, hat die Künstlerin verschieden blau gefärbte Kunststoffrechtecke in die Baumkronen gehängt. Der große blaue Himmel ganz oben reicht mir indes vollkommen. Zeigt sich doch dort oben keine einzige Wolke, die die Sonnenstrahlen auf dem Weg zur Erde filtern.
Eine Wildes Tier liegt auf dem Weg
In den Städten treffe ich immer wieder auf andere Radfahrer oder Wanderer mit Gepäck. Es ist erstaunlich wie viele Menschen das Land langsam entdecken wollen. So auch eine Gruppe von 10 italienischen Radreisenden. 10 Stimmen und 20 Hände diskutieren sie allem Anschein nach über den richtigen Weg. Mit deutscher Hilfsbereitschaft und etwas weniger gestenreich, wird das Problem schnell gelöst.
Der Wind kommt heute gefühlt aus allen Richtungen, je nachdem wohin sich die Tauber gerade wendet. Wiesen, Felder und kurze Waldstücke wechseln sich ab und immer wieder führt der Radfernweg durch hübsch herausgeputzte Orte. Maria, mit ihrem Sohn auf dem Arm, wacht diesmal an der Brücke auf schnelle Radfahrer und auch über eine Blindschleiche, die sich auf dem Asphalt aufwärmt. Sie liegt genau in meiner Fahrspur. Es verlangt schon nach einigem fahrerischen Geschick, um das Tier nicht zu erlegen. Hat hier Maria etwa nachgeholfen?
Ohne Ahnung in Weikersheim
Und dann kommt das was kommen muss, wenn man ohne Plan und Reiseführer unterwegs ist. Der Radweg führt mich in den nächsten Ort. Da es schon lange nach Mittag ist, wird es Zeit für eine Pause. Der öffentliche Garten mit Bänken im Schatten, bietet sich hierfür geradezu an. Hinter den hohen grauen Mauern ist es schön kühl und vor mir breitet sich verschiedenstes Gemüse aus.
Dortmunder Annährung nennen sich die grauen Figuren, die den Garten mit ihrer Anwesenheit bereichern. Insgesamt 17 davon, hat der Künstler Eberhard Linke hier in der Stadt verteilt. Wenn ich ehrlich bin, würde es mich nicht weiter stören, wenn die Figuren woanders einen Platz gefunden hätten. Geschmackssache halt.
Nach der Pause schwinge ich mich wieder auf mein Rad und verlasse, der Tauber Fluss auf folgend, die Stadt. Erst bei der Nachbereitung zuhause am PC, werde ich erfahren, dass Weikersheim, als Stammsitz der Hohenloher, ein ganz besonderes Schloss und eine sehr schöne Innenstadt hat. Unwissend wie ich war, habe ich das Schloss nur von hinten gesehen. Alles andere blieb mir verborgen.
Heute Abend schlafe ich in einem richtigem Bett
Weiter geht’s meinem Etappenziel Creglingen entgegen. Auch ohne den Rückenwind, der mich jetzt ordentlich voran schiebt, hat das Liebliche Taubertal bis jetzt schon alles, um sich in meine Favoriten einzureihen.
Heute Abend darf das Zelt in den Taschen bleiben. Ich ziehe ein richtiges Bett meiner Luftmatratze vor und nehme mir ein Zimmer in der Jugendherberge. Zum Abendessen setzt sich ein Vater mit seinem Sohn (12 Jahre alt) und dessen Freund (15 Jahre alt) zu mir an den Tisch. Die Männergesellschaft ist auch mit Fahrrädern unterwegs. Klar, dass wir Alten ins Fachsimpeln über das Radreisen kommen.
Ganz gespannt höre ich zu, als er von seiner ersten Radreise Anfang der 90er erzählt. Er wollte bis nach Island, musste aber schon in Calais umdrehen, weil seine Bankkarte nicht vom ausländischen Automaten anerkannt wurde. Vor der Abfahrt versicherte ihm der Mitarbeiter der Bank noch, dass die Karte überall in Europa geht. Kurzerhand hat er umgeplant und ist über Belgien wieder zurück gefahren.
Ein Tag im Fahrradsattel macht müde. So verabschieden wir uns schon früh am Abend obwohl es mit Sicherheit noch viele spannenden zu erzählen gäbe. Ich freue mich auf jeden Fall darauf, das Zelt heute in den Taschen zu lassen und in einem bequemen Bett zu liegen.