Deutschland der Länge nach / Von Eichenberg nach Eschwege
Schnell ist das Wochenende wieder vorbei. Samstag auf Sonntag habe ich die Begeisterung von 10.000 Gästen auf einem Open Air Konzert, am Strand vom Ostseebad Damp, mit der Kamera eingefangen. Am nächsten Tag die Bilder bearbeiten und beim Kunden abgeliefert und schon sitze ich wieder im Zug, diesmal gen Süden, um meine Reise durch Deutschland wieder aufzunehmen.
Konsequenterweise hätte ich dort wieder losfahren müssen, wo ich meine Reise unterbrochen habe, in Leinefelde. Doch dazu wäre noch einmal Umsteigen notwendig gewesen, um noch 20 Minuten mit dem Zug gen Osten zu fahren. Da der Umsteigebahnhof in Neu Eichenberg fast auf gleicher Höhe liegt, macht es von der Entfernung her keinen Unterschied und so spare ich mir das letzte Stück mit dem Zug.
Die besten Zeiten hat der Bahnhof in Neu Eichenberg schon länger hinter sich gebracht. Für die drei Gleise die heute noch hier durchführen, ist das Gebäude aus alten Backsteinen recht groß geraten. Die Fenster sind mit rostig braunen Lochblechplatten verrammelt und so wichtig wie der Bahnhof allem Anschein nach heute noch ist, gibt es natürlich auch keinen Fahrstuhl für die Unterführung. Ich taufe diesen Bahnhof Red Bull Bahnhof. Rollstuhlfahrer die hier auf den nächsten Bahnsteig kommen wollen, benötigen hier die Flügel des Brauseherstellers. Radfahrer wie ich, tragen zuerst das Gepäck die Treppen runter und dann wieder rauf, zu Schluss folgt der geschätzte zweirädrige Reisegefährte.
Am Bahnhof von Neu Eichenberg braucht man Fügel
Der Rest von Neu Eichenberg ist in etwa so spannend wie der Bahnhof. Also kein Grund sich hier länger aufzuhalten. Die paar Tage Pause vom Radfahren, haben dem Körper richtig gut getan. Auch das Wetter hat spürbar noch etwas an Sommer zugelegt. Meine Beine verrichten Umdrehung für Umdrehung wieder freudig ihre Arbeit, der warme Wind zauselt durch die Haare, ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr. Zweiter Teil Deutschland, ich komme.
Ab Witzenhausen wird die Werra zu meinem Begleiter. Ich gebe zu, dass mir, als gebürtiger Südhesse, der Norden meines Heimatlands, bis auf ein paar trübe Kindheitserinnerungen, vollkommen unbekannt ist. Alles was sich nördlich des Taunus an Landschaft erstreckt, war für mich hessisch Sibirien.
Es dauert nicht lange und ich stelle fest, dass diese Region mindestens genauso reizvoll ist wie meine Heimat. So lassen ich mich in Lindewerra auch gerne zu einem Fotostopp überreden. Wie das Tüpfelchen auf dem I, bietet hier ein Bauergarten in üppiger Blütenpracht, die fast schon perfekte Kulisse für den liebevoll restaurierten Fachwerkhof.
Perfekte Ausschilderung und schwarze Katze
Der Werraradweg ist perfekt ausgeschildert. Die Schilder stehen immer dort wo sie gebraucht und sofort gesehen werden. So lässt es sich entspannt Reisen. Meist folgt der Radweg dem Fluss auf gut ausgebauten Wirtschaftswegen und die seltenen Abschnitte auf der Straße, fallen dank des geringen Verkehres nicht auf.
Von einer Mauer herunter, beobachtet eine schwarze Katze neugierig das Treiben auf der Werrabrücke. Überfordert von zu vielen Eindrücken, wird sie mit Sicherheit nicht, ich bin weit und breit der Einzige der unterwegs ist.
Bad Soden Allendorf ist eines der typischen Städtchen der Region. Das liebevoll restaurierte Fachwerk zieht immer wieder die Blicke der Passanten auf die vielen Details an den Häusern. Die Zimmerleute gaben sich alle Mühe um das Fachwerk mit Rauten, Quadraten, florale Ornamente oder Wappen zu schmücken. Als wäre so viel Schmuck noch nicht genug, schmückt sich Bad Soden Allendorf für das anstehende Erntedankfest. Auf dem Hänger hinter dem betagten Traktor, wartet der Festbaum darauf, von den fünf starken Männern in die Senkrechte gestellt zu werden.
Mein tausend Sterne Hotel
Tief unten in ihrem Bett schlängelt sich die Werra durch die sanfte Hügellandschaft, die sich zu beiden Seiten hin ausbreitet. Oben auf den Hügelrücken breitet sich dichter Wald aus. Aus dem Grün heraus, schaut das Jagdschloss Rothenstein auf die Radfahrer herab, die den Kurven des beschaulichen Flusses folgen.
Die heutige Etappe fällt, dank der Zugfahrt, recht kurz aus und so erreiche ich völlig entspannt den Werra-Meißner-Campingplatz. Mittlerweile habe ich Übung im Zeltaufbau und so steht mein tausend Sterne Hotel in wenigen Minuten bezugsbereit auf der Wiese. Nach dem Dusch- und Abendessenritual, setzte ich mich in den Aufenthaltsraum und schreibe meine Erlebnisse in das Tagebuch.
Es ist schon spät und nur noch das Licht der Außenbeleuchtung scheint in den Raum. Eine Person tritt ein. „Ich mache mal das Licht an“, höre ich eine sehr jung wirkende Frauenstimme, „sie sehen ja nichts mehr beim Schreiben“.
Mit einem Dankeschön blicke ich nach oben und sehe, dass die junge Stimme einer älteren Frau gehört. In den Händen hält sie eine Schüssel mit Geschirr für den Abwasch. Ihre Kleidung verrät eine gewisse Zuneigung zur Hippiekultur der 60er und 70er Jahre. „Wir wandern auf dem Grünen Band“, fährt sie fort, „und wohin führt Ihr Weg?“ Wir unterhalten uns angeregt über Wandern und Radfahren und sind uns einig, dass es keine großen Entfernungen braucht, um jeden Tag aufs Neue von Menschen und Land überrascht zu sein.
Auf dem Weg zurück zum Zelt, steht die Frau vor ihrem Wohnwagen und schaut über den See der vom Mondlicht im tiefen silbernen Glanz strahlt. Der Wohnwagen könnte kaum besser zu dieser Frau passen. Mit seiner Blumenwiese und dem strahlenden Himmel aus vielen bunten Pinselstrichen, sticht er unter all den anderen einheitsweißen Wohnwagen in seiner Nachbarschaft hervor.