Deutschland der Länge nach / Gemünden – Wertheim

Obwohl sich schon eine gewisse Routine beim morgendlichen Packen eingestellt hat, dauert doch immer noch gut eine dreiviertel Stunde bis alle Taschen wieder gefüllt und an ihrem Platz am Fahrrad sind. Mitten in der morgendlichen Vergangenheitsbewältigung, steht der Nachbar aus dem Wohnwagen mit einer Tasse Kaffee vor mir. Das Fahrrad scheint immer mal wieder ein Anlass für Gespräche zu sein. Es öffnet mir Türen, die ich sonst nicht einmal beachten würde. Nach einem kurzen Gespräch und der Tasse Kaffee, rollen die Räder wieder los.

Gemünden am Main
Gemünden am Main

Gleich zu Beginn des Tages wechselt der Main-Radweg auf die andere seines Namensgebers. Oben von der Brücke aus, werfe ich nochmals einen Blick zurück auf Gemünden. Über dem Fluss, liegt noch ein leichter Dunstschleicher. Einzig ein Paddler durchschneidet so früh am Morgen, in zügiger Fahrt, das spiegelglatte Wasser. Das Entenpärchen unter den Bäumen am Ufer, lässt sich von den Wellen die der Padller mit seinem Boot ans Ufer schickt, nochmal in den Schlaf schaukeln.

Ulangom und Lohr am Main

Bis nach Lohr sind es nur wenige Kilometer. Doch vorher weckt eine weiße Linie, die diagonal über den Radweg verläuft, mein Interesse. Auf jeder Seite der Linie steht in großen Ziffern die Zahl 50. Was hat das nun zu bedeuten? Ein Findling neben dem Weg trägt eine Tafel mit des Rätsels Lösung. Die örtliche SPD hat diesen Ort markieren lassen. Es ist der 50. Breitengrad. Auf dieser Linie liegen Ulangom in der Mongolei oder auch Winnipeg in Kanada und auf der gegenüberliegenden Mainseite gelegen, das schmucke Städtchen Lohr.

Wertheim am Main
Lohr am Main

Lohr gehört zu den verträumten kleinen Städten am Main, die unter anderem den Radweg bei den Touristen so beliebt machen. An jeder zweiten Hausecke, der liebevoll restaurierten Fachwerkhäuser, hängt nun Jesus am Kreuz oder seine Mutter hält ihn als Baby in ihren Händen. Maria, ihren Sohn und einige weitere Persönlichkeiten der christlichen Glaubensgemeinschaft, werde ich nun noch öfter antreffen. Je weiter ich gen Süden komme, desto stärker wird der Einfluss des Glaubens sichtbar.

Ein wenig quietscht es, ein wenig stöhnt es

Auf dem Weg aus Lohr heraus, überhole ich eine Frau mit kurzen grauen Haaren, die listig unter ihrem Helm heraus schauen. Ihr Rad ist nicht mehr das jüngste und trägt die Spuren seiner Vergangenheit offen zur Schau. Ein wenig quietscht es, ein wenig stöhnt es über seine tägliche Last und freudig winkt das Schutzblech den Überholten zu.

An der nächsten leichten Steigung, fährt sie auch schon wieder an mir vorbei, bis sich der Weg wieder nach unten neigt und das Gewicht meines Gepäcks mich mit Schwung wieder an ihr vorbei schiebt. Dieses Spiel wiederholt sich nun auf den nächsten Kilometern noch einige Male, bis sie hinter einer scharfen rechts Kurve, kurz nachdem sie mich wieder mal überholt hat, unvermittelt ihr Rad zum Stehen bringt. Ich habe Mühe mit meinem schweren Rad ihr nicht hinten rein zu fahren und schaffe es im letzten Moment noch zu Bremsen und vor dem Kontakt mit ihrem Hinterrad an ihr vorbei zu steuern.

Als sie mich bemerkt entschuldigt sie sich und ich kann ihr das erste Mal kurz in das Gesicht schauen. Zu kurz um einen bleibenden Eindruck zu bekommen. So bleiben in meiner Erinnerung die kurzen grauen Haare, das olivgrüne T-Shirt und das hintere Schutzblech, welches losgelöst aus seiner Halterung, mir unentwegt zugewunken hat.

Der Main, zwischen Ursprünglichkeit und Zweckmäßigkeit

Nach und nach rutschen die Hänge des unterfränkischen Hügellands näher an den Main. Und alle Verkehrssysteme, die das Flusstal nutzen, müssen näher zusammenrücken. Flüsse sind schon seit Urzeiten Lebens- und Verkehrsräume des Menschen. So ist es auch hier am Main. An den Ufern verlaufen die Straßen und wenn noch Platz ist, dann wurde auch ein Bahngleis verlegt und der Fluss selbst dient zum Transport großer Lasten.

Anfangs arrangierte man sich noch mit den Launen des Flusses und fuhr nur bei ausreichendem Wasserstand, später bauten die Menschen Stauwerke. Die dienen meist auch gleichzeitig als Stromerzeuger. So wurden die Flüsse nachhaltig verändert und dem Menschen angepasst. Dennoch behält das Maintal auf diesem Abschnitt seinen Charme und eine gewisse Ursprünglichkeit.

Burg Rothenfels am Mainradweg
Burg Rothenfels

Auf der gegenüberliegenden Seite thront Burg Rothenfels, hoch auf dem Bergrücken. Dort oben auf dem Berg hatten die Burgherren die Warenströme gut im Blick und mit den Zöllen, die man von den Händlern eintrieb, ließ sich durchaus gut leben. Heute will niemand mehr Geld für die Durchfahrt haben. Die Berghänge machen langsam wieder Platz für Wiesen und Felder. Dann lädt eine kleine Bucht lädt zur kurzen  Pause ein. Die Füße zur Abkühlung  ins Wasser gehängt, dürfen sie im Mainsand nach Gold graben. Es ist schön ruhig hier und das Wetter hat T-Shirt Niveau. Wenn Engel reisen, was will man mehr.

Frau Steinbach erwartet Gäste

In Marktheidenfeld suche ich ein Café für meine Pause am späten Nachmittag. Vor einem Bioladen, in einer Seitenstraße, laden einige kleine Tische und das Angebot mit frischen Blaubeerkuchen, zum Bleiben ein. Die Plätze sind bis auf einen schon alle belegt. So frage ich eine ältere Frau, die alleine an einem Tisch sitzt, ob ich mich noch dazu setzen darf. Sie nickt freundlich und es macht den Eindruck, dass sie sich über Gesellschaft freut.

Kaum habe ich den Stuhl neben ihr in Beschlag genommen, stellt sie sich mir als Frau Steinbach vor und erzählt von ihrer Pension hier in der Nähe.

„Zu mir kommen viele Radler, erzählt sie mir, „heute Abend erwartet ich noch eine Gruppe mit 4 Personen. Die sind am Morgen in Veitshöchheim gestartet. Das schaffen sie ganz bequem,“ ist sie sich da sicher.

Eigentlich sind Veitshöchheim und Marktheidenfeld nur knapp dreißig Kilometer voneinander entfernt. Da sich aber der Main nicht so richtig für eine Himmelsrichtung entscheiden kann, in die er fließen möchte, schlängelt er sich hier in großen Schleifen durch Unterfranken. Oder ist es vielleicht doch eher so, dass die Franken nicht genug von ihrem Fluss haben können und ihn deswegen möglichst lange bei sich behalten wollen? Auf jeden Fall kommen so für den Main-Radweg-Fahrer gut 70 Kilometer zusammen. Ich erfahre noch, dass Frau Steinbachs Gäste bis nach Mainz fahren wollen und dann verabschiedet sie sich.

Nachdem der leckere Blaubeerkuchen seinen neuen Bestimmungsort bei mir im Bauch gefunden hat, schaue ich mir auch hier noch den historischen Stadtkern an. Dann folge ich wieder dem Mainradweg, meinem nächsten Etappenziel entgegen.

Die A3 war viele Jahre lang für mich fast eine zweite Heimat

In der Ferne überspannt eine langgezogene Autobahnbrücke das Maintal. Auf den vier Spuren der A3, die Deutschland von Ost nach West durchquert, ist wie so oft reger Verkehr. Es ist schon einige Jahre her, da war dieser Abschnitt der A3, zwischen Frankfurt und Nürnberg, fast so etwas wie ein zweites Zuhause für mich.

Stauwerk am Mainradweg
Stauwerk am Main

Fast 14 Jahre lang war ich, teilweise bis zu drei Mal die Woche, auf dieser Strecke unterwegs. Die A3 gehört zu den meist befahrenen Autobahnen in unserer Republik und regelmäßig bilden sich dort lange Staus und zehren an den Nerven der Autofahrer. Heute bin ich froh darüber, dass ich nicht mehr beruflich auf unseren Straßen unterwegs sein muss. Am Grenzstein zwischen Baden Württemberg und Bayern halte ich daher an und mache noch ein Foto zur Dokumentation von mir und der Autobahnbrücke.

Vronis Biergarten lockt den Radler mit nem Radler

Kurz vor Wertheim lockt ein Schild, vorbeifahrende Radler in einen vor kurzem eröffneten Biergarten. Nach dem Überwinden einiger weniger Treppenstufen, steht dem Genuss eines flüssigen Radlers, unter den schattigen Bäumen, nichts mehr im Wege. An der Wand hängen noch die Glückwünsche von „Vronis“ Freunden zur Eröffnung.

Grenzstein
Grenze zwischen Baden-Würtemberg und Bayern

Nach der Erfrischung in „Vronis“ Biergarten, kann es auch schon wieder weiter gehen. Das Wetter ist einfach nur genial. Die Sonne scheint vom blauen Himmel, sorgen für Temperaturen die einem süddeutschen Sommer würdig sind. Immer wieder kommen mir andere Radreisende entgegen. Mal schwer bepackt und viel öfter nur mit leichtem Gepäck. Jeder entdeckt so auf seine Art den Fluss und seine Landschaft. Ein Kreuzfahrtschiff nähert sich mit mir der Stadt Wertheim. Einige der Passagiere liegen oben auf dem Sonnendeckt und genießen das Maintal aus einer ganz anderen Perspektive.

Erst die Sandalen, dann der Campingplatz

In Wertheim angekommen, versorge ich mich erst einmal mit neuen Sandalen. Von meinen alten habe ich mich schon in Gemünden getrennt. Kaum vierzehn Tage alt, war es meiner Nase nicht mehr möglich, die Nacht mit ihnen in einem Zelt zu verbringen. Zu würzig war ihr Duft. Danach folgt noch der obligatorische Gang in die Altstadt.

Der Campingplatz in Wertheim gehört von der Ausstattung schon zu den besseren. Allerdings ist er zum Zelten weniger geeignet. Je eine Straße rechts und links des Flusses und die Bahn direkt hinter dem Platz, führen durch das enge Maintal. So ist die Nacht nicht wirklich ruhig. Lediglich der Schiffsverkehr ist kaum wahrnehmbar.

Auf einer abendlichen Runde über den Platz entdecke ich ein ganz besonderes Gefährt. Ein grüner Traktor aus den 60. Jahren, mit einem bunten Blumenstrauß vor der Motorhaube. Mit seinem Holzanhänger sieht es so aus, als wollte er sich ein wenig über seine modernen Nachbarn lustig machen. Eine schmale Treppe führt auf einen Balkon, mit einigen Bildern an der Wand und unter der Markise vor dem Wagen, warten eine Bank mit Stühlen und einem Tisch auf seine Bewohner.

Campingplatz Wertheim am Mainradweg
Campingplatz Wertheim

Mitten in der Nacht klopfen Regentropfen auf das Zeltdach. Schnell wie ein Blitz springe ich nach draußen und hole mein Handtuch ins Trockne. Kaum wieder im Zelt, ist die Nacht plötzlich taghell. Fast zur gleichen Zeit rollt ein Donner das Tal herunter und wird immer lauter, bis er gefühlt den Campingplatz und mein Zelt überrollt. Schon eine Minute später hört es auf zu regnen und der ganze Spuk ist vorbei. So ein Lärm wegen so ein bisschen Regen. Noch eins zwei Mal fallen ein paar Tropfen Wasser herunter, dann ist endgültig Ruhe.


  • Gemünden am Main
    Gemünden am Main

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