
Auf dem Burgensteig – Von Zwingenberg nach Heppenheim
Über die Treppen in der Altstadt von Zwingenberg wird die einzige Kalorie meines Schokocroissants vom Frühstück gleich wieder vernichtet. Bei diesen knackigen Anstiegen bin ich froh, dass ich gestern schon an einer Wegsperrung vorbeigekommen bin. So konnte ich die Route noch umplanen und spare mir einige unnötige Höhenmeter. Oberhalb von Zwingenberg laufe ich nun durch die Weinlagen. Noch sind nur erste zarte Triebe zu sehen. Bis in den Herbst werden die Stöcke aber wieder die nächste Generation Bergsträßer Wein hervorbringen.

Von Komoot navigiert geht es kommod auf dem Commoder Weg weiter. Bei diesem Gedanken wird mir bewusst, warum aus mir nie ein Lyriker werden wird. Egal, meine Qualitäten sind andere. Im Moment freue ich mich darüber, wie leichtfüßig das Wandern auf einem Höhenzug sein kann. Selbst der sanfte Aufstieg zum Auerbacher Schloss vergeht wie im Flug.
Die Grafen von Katzenelnbogen und das Schloss Auerbach
Auch die Höhenmeter zu dieser Burg und zum Turm hinauf sind in der Planung noch nicht mit eingerechnet. Auslassen ist aber nicht, ich möchte schon sehen, woher der Steig seinen Namen hat und die Aussicht von ganz oben ist meist genial. Erbaut wurde das Schloss im 13. Jahrhundert von den Grafen von Katzenelnbogen. Später hat es die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt übernommen und so lange bewirtschaftet, bis es unrentabel wurde. Seitdem hat die jetzt 300-jährige Kiefer in Ruhe auf der Burgmauer Zeit zum Wachsen gehabt.

Vom Auerbacher Schloss geht es direkt runter ins Tal nach Auerbach. Im späten 18. Jahrhundert hatten die Regierenden schon lange keine Lust mehr auf wehrhafte Mauern oben auf dem Berg. Viel lieber hat sich Landgraf Ludwig, aus dem Hause Hessen Darmstadt, eine landländliche Sommerresidenz, mit dem ein oder anderen Lusthäuschen, in einem lieblichen Seitental der Bergstraße errichten lassen. Das Ludwig Geschmack hatte, das lässt sich im Staatspark Fürstenlager bewundern.
Vom Fürstenlager aus geht es auch gleich wieder flott den Berg hinauf. Oben angekommen, lockt ein Rastplatz in der Sonne zur Pause. Und mit diesem Ausblick dazu, kann ich einfach nicht nein sagen. Ich bin ja nicht auf der Flucht und das hier ist eine Genießer-Region. Leider habe ich nichts zum Genießen im Rucksack. Der Platz wäre ein Träumchen für ein Picknick.
Die Urbessemern Genussphilosophe
So geht es, entlang der Weinberge, wieder auf dem nächsten Höhenzug weiter. Die Sonne zeigt, was das Bergsträßer Klima so besonders macht. Meine Jacke ist schon lange im Rucksack verschwunden und während ich mir meine Gedanken über eine Brotzeit mache, stehe ich vor dem Kirchberghäuschen. Auch diesen hübschen Ort in meiner Heimat, hatte ich bisher noch nie besucht. Neben der Aussicht über Bensheim, hinüber bis zur Pfalz, begeistert mich noch mehr, dass es montags geöffnet hat.
Die freundliche Servicekraft scheint mir meinen Hunger anzusehen und weist mich in die Gepflogenheiten des Biergartens ein. Da sitze ich nun mit einer kalten Saftschorle und etwas zum Essen, im Schatten und lauschen den Urbessemern (Urbensheimern) beim Genussphilosophieren zu:
„Soll es erst des Woischöppsche soi orrer trinke meer erst en Espresso noochem Esse?“
Für mich stellt sich die Frage vielleicht heute Abend. Jetzt geht es erst mal den Berg hinunter nach Bensheim.

Von der hübschen Altstadt von Bensheim bekommt der Wanderer nur den verkehrsreichen Rand mit, bevor er oder sie sich wieder hinauf in die Wohngebiete der Stadt begibt. Wie Otto und Ottilie N. nun wohnen, das ist nicht so besonders interessant. Daher bin ich froh, Bensheim wieder zu verlassen, auch wenn der Aufstieg wieder ordentlich in die Beine geht. Etliche Schweißtropfen später, stehe ich dann vor dem Hemsberg Turm. Beim Anblick des Turms warte ich irgendwie darauf, dass Rapunzel an das Fenster herantritt. Rapunzel kommt nicht und so bleibt es bei einigen Fotos zur Beweissicherung.
Der Wolfgang zuckt erschrocken zusammen
Gut gelaunt laufe ich wieder den Berg hinunter. Der Wald lichtet sich und ein Rastplatz mit bester Aussicht über die Wiesen und Weinberge liegt vor mir. So ein tolles Motiv muss fotografiert werden. Meine Hand wandert zur Kamera und der Wolfgang zuckt erschrocken zusammen. Die Hand findet keine Kamera. Nichts, nada, niente. Im Kopf verbreitet sich dezente Panik. Das kleine Miststück kostet ordentlich Geld und dann noch die Bilder. Alles weg!

Nach dem Schock melden sich die ersten Synapsen wieder zum Dienst und setzen sich mit rationalen Gedanken durch. Oben am Rapunzelturm wollte ich mit der Kleinen fotografieren und habe dann aber zum Smartphone gewechselt. Im Eilschritt geht es die Höhenmeter wieder bergauf. Die Lunge ist am Anschlag, als ich den Turm zum zweiten Mal erreiche. Und dann die Erlösung. Völlig unschuldig liegt die Kamera auf dem Fensterbrett an der Hütte.
Jetzt, wo „die Kleine“ wieder bei mir ist, laufen sich die nächsten Kilometer wie im Flug. Auf der weiten Ebene kommt mir eine alte Frau entgegen und grüßt besonders freundlich mit:
„Ich wünsche ihnen einen schönen Tag und ganz viel Gesundheit. „
Dabei strahlt sie über das Gesicht, als würde ihr die Welt zu Füßen liegen. Dankend erwidere ich den Gruß und freue mich über diese wunderbare Begegnung.
Pause bei den „Hoambescher Mädels“ und die lauteste Burg
Am „Hoambescher Mädels Platz“ mache ich nochmal kurz Pause und genieße im Schatten den Blick auf den zurückgelegten Weg. Von hier aus geht es dann kurz runter nach Hambach und dann ganz lange bergauf. Bis hierher war der Burgenweg ein Genuss. Jetzt wird der Forstweg bergan langsam etwas eintönig. Ich bin verwöhnt vom bisherigen Weg, stelle ich fest.

Das wird sich bis zur letzten Burg, der Starkenburg bei Heppenheim, dann auch nicht ändern. Doch dann gibt es so kurz vor Schluss noch etwas zu feiern. 10.000 km bin ich nun schon mit Komoot unterwegs. Mit dem Rad und zu Fuß. Gerne würde ich jetzt mit mir anstoßen. Doch dank des warmen Wetters und der vielen schönen Höhenmeter, sind beide Wasserflaschen schon leer. Umso besser denk ich mir, dann verschiebe ich das Anstoßen auf den Abschluss vor der Eisdiele.
Die Starkenburg kündigt sich schon vom Weiten als die lauteste der Burgen an. Dort oben gibt es nicht nur alte Mauern aus dem Mittelalter, im 20. Jahrhundert wurde die Burg kräftig umgebaut und seit 1960 ist dort oben die Jugendherberge untergebracht. Dem Lärm nach zu urteilen, verbringen dort gerade zwei Herden Kinder ihre Freizeit.
„Che bello il sentiero!“
Über einen teilweise recht steilen Pfad geht es jetzt noch hinunter bis nach Heppenheim. Die Mauern an den Weinhängen reflektieren die Wärme und es fühlt sich schon fast ein bisschen nach Süden und Sommer an. Genau das Klima, wonach ich gesucht habe. Was hat Kaiser Joseph II zur Hessischen Bergstraße gesagt:
„Hier fängt Deutschland an, Italien zu werden.”
Da kann ich dem Kaiser doch nur zustimmend erwidern:
„Che bello il sentiero!“
Schade das der Kaiser noch nicht in den Genuss eines italienischen Gelato kommen konnte. Er wäre vermutlich, wie mein Eis zum Espresso, dahingeschmolzen.
So beende ich meine vorerst letzte Etappe auf dem Burgensteig und freue mich auf eine Fortsetzung.
