
2 Tage Harz – 2. Tag – Von Schierke nach Oderbrück
Eigentlich hatte ich den Rückweg bis nach Torfhaus geplant. Aber wie das mit dem „eigentlich“ so ist … Doch der Reihe nach.
Die Nacht in der Jugendherberge Schierke war erholsam. Ich stehe rechtzeitig auf um zu duschen, mein Zimmer aufzuräumen und als erster im Frühstückraum zu sein. Schließlich will ich früh raus, um die Morgenluft zu genießen. Das Frühstück fällt kurz aber reichlich aus. Die Qualität ist so, wie bei einer Jugendherberge erwartet. Kein Schnick Schnack aber vollkommend ausreichend. Nach dem Frühstück geht’s nochmal kurz aufs Zimmer, den Rucksack holen und dann kann es endlich losgehen.

Die Morgen empfängt mich leicht unterkühlt, durch den Regen der Nacht aber wunderbar klar und frisch. Meine ersten Schritte führen mich zu PUG, dem Minisupermarkt im Dorf. Hier gibt es alles was Mensch zum Essen an einem Wandertag braucht. Ich kaufe alles Wichtige für den Tag ein. Nur die Schokolade bleibt freiwillig im Regal, es soll heute noch recht warm werden.
Ein St. Moritz des Nordens sollte hier entstehen
Dann kann es endlich richtig losgehen. Ich verlasse Schierke über die Brücke an der Schierker Feuerstein Arena. Im Sommer ist die Feuerstein Arena eine Familienbespaßungsstätte mit überdimensioniertem Parkhaus. Im Winter eine Eisbahn mit überdimensioniertem Parkhaus.
Ein St. Moritz des Nordens sollte hier entstehen. Mit Sommerbespaßung, Ski-Abfahrtspiste, Schneekanonen, etc. Und eigentlich – da ist es wieder das besondere Wort – Und eigentlich sollte, für die große Winterparty, alles mit einer Seilbahn verbunden werden. In der Realität konnten weder genug Gäste noch der Schnee davon überzeugt werden, hier in ausreichender Menge Urlaub zu machen.

Der Platz für Pisten und Seilbahnen wäre jetzt frei. Den Wald haben die Veränderungen in unserer Natur schon dahingerafft. Mit dem Wald ist aber auch die Idylle dahingegangen, die mit so viel Aufwand erlebbar gemacht werden sollte. Und selbst für Kunstschnee ist es viel zu oft zu warm. So kann sich der Investor den Bau der fehlenden Pisten sparen.
Der Wald ist tot. Es lebe der Wald.
Vor lauter Gedanken um das Warum, laufen meine Beine an der Wegkreuzung einfach weiter geradeaus. Und da ist es schon wieder, das Wörtchen eigentlich. Weil eigentlich wollte ich einen anderen Weg nehmen. Aber ach was solls, ich bin nicht da um irgendetwas bestimmtes zu erledigen. Ich möchten den Tag erleben und das geht auch auf einer anderen Route. Also einfach weiter den schon eingeschlagen Weg folgen, es wird schon irgendwie weitegehen.

Und wie das geht. Mit jedem Höhenmeter den ich, durch die jetzt waldlosen Flächen, nach oben gehe, desto schöner werden die Ausblicke über Schierke und die Berge auf der gegenüberliebenden Seite. Auch die großen offenen Flächen finde ich nicht bedrückend. Im Gegenteil. Ich freue mich über das, was dort gerade neu entsteht. Noch ist nicht viel zu sehen. Ein Teppich bunter Blumen und immer mal wieder eine Birke, eine Tanne und dazwischen viele andere Pflanzen, die den Weg bereiten, für einen neuen Wald. Die Natur ist schon mit der Erneuerung beschäftigt, während der Mensch noch die letzten Reste seiner Vergangenheit wegräumt.
Einen kleinen Nachteil hat der fehlende Wald dann doch. Die Sonne scheint mir ungehindert auf meine nicht vorhandene Mütze. So suche ich erst mal die nächste Rasthütte auf, setze mich in den Schatten und kühle mich flüssig von innen.
375 Stufen bis zum Gipfel
In der Ferne ragt der höchsten Gipfel für den heutigen Wandertag, der Wurmberg, über den Restwald hinaus und irgendwie ist mir, als würde er komm doch zu mir rufen. Also Rucksack wieder auf den Rücken und los. Schritt für Schritt arbeiten sich meine Beine auf der Forststraße langsam nach oben. Mit der Sonne im Rücken und dem freien Blick über die Hügel könnte ich gerade quietschen vor Glück.

Dann zweigt dann ein schmaler Weg durch ein paar restliche Tannen nach links ab. Vor mir steht das Loipenhaus unterhalb vom Wurmberg. Ich schaue noch ein bisschen weiter und sehe ein paar Personen in gerader Linie den steilen Hang am Wurmberg hochgehen. Aua, sagen meine Beine bei diesem Anblick. Was ich noch nicht sehe, das sind die Treppen, die auf den Gipfel hinaufführen. Aber warum zum Kuckuck, führt dort eine Treppe hoch? Meine Neugier überzeugt mich davon, es herauszufinden. Also hoch die Treppe, statt den Pfad nebenan.
Irgendwie ist Treppensteigen immer anstrengender, als einen Berg direkt hochzugehen. Immer wieder bleibe ich stehen und dabei mir fällt die besondere Art der Treppen auf und die besondere Fläche direkt daneben. „Das ist doch …. Das war doch mal …. Stimmt“:, klingelt es zwischen den Ohren. „… das ist die alte Wurmbergschanze“. Manchmal braucht es halt seine Zeit, bis die Informationen durch die richtigen Synapsen rutschen.

Am Ende der 375 Stufen ist der höchsten Gipfel Niedersachsens bestiegen. Das muss mit einem schönen Weißbier gefeiert werden. Es wird eine kurze Pause. Ich möchte ja auch noch einen zweiten Gipfel besteigen. Auf dem Weg runter, bekomme ich erst mal kurz Schluckauf. Da ist ja noch viel mehr los – Almhütte, künstlicher Teich für die Schneekanonen, Mountaincart-Vermietung, etc. Ist schon spannend, wie anders sich die Welt doch anfühlen kann, wenn man nur einen Teil von ihr sieht.
„Dieser Weg wird kein leichter sein“
Zügig laufe ich auf der Zufahrtsstraße am Trubel vorbei und bin bald schon wieder alleine. Es geht abwärts und abwärts und abwärts. So langsam schwant mir, wie weit ich erst wieder runtergehen muss, um dann auf der anderen Seite des Tals wieder nach oben zu gehen. Passend dazu nistet sich in meinem Kopf die Songzeile – „dieser Weg wird kein leichter sein“ – ein.

Unten, an der noch jungen Großen Bode, ist der tiefste Punkt erreicht. Jetzt geht es wieder 200 Höhenmeter nach oben, bis auf die Achtermannshöhe. Während mich meine Beine wieder Schritt für Schritt nach hochtragen, beschäftigt sich der Kopf damit den nächsten Gipfel freundlich zu ignorieren. Ein paar Mädels und ihr Hund überholen mich noch dazu leichtfüßig, was mein Gefühl – ich bin kurz vor dem Umfallen – noch verstärkt.
Noch ein Gipfel, dann ist’s genug für heute
Das Gefühl hält sich tapfer, bis der Abzweig zur Achtermannshöhe erreicht ist. Interessanterweise denkt der Kopf jetzt gar nicht mehr viel und die Beine laufen einfach weiter in Richtung Gipfel. Und bevor ich mich versehe, stehe ich auch schon auf dem Gipfel der Achtermannshöhe. So einfach kann es sein. Kopf aus und Beine los. Einfach rundum zufrieden setze ich mich auf einen Stein und schaue weit ins Land hinein. Was wäre der Tag ohne diesen besonderen Moment.
Eigentlich, da ist es schon wieder, dieses ominöse Wort, eigentlich wollte ich noch bis Torfhaus gehen. Nach diesem wunderbaren Gipfelgefühl beschließe ich aber mir den Trubel dort zu sparen. Es sind noch zwei Kilometer bis nach Oderbrück. Das soll für heute genug sein.
Fast schon wie auf Wolken laufe ich den Weg nach Oderbrück hinunter. Mir geht es gut, ich fühle mich wohl und kann mein Ziel schon sehen. Ich kann auch sehen, dass gerade der Bus nach Bad Harzburg dort unten abfährt. Jetzt weiß ich, ich muss noch eine Stunde auf den nächsten Bus warten. Was für ein Glück. Ich habe unten am Parkplatz noch genügend Zeit auf ein Weißbier und ein Stück Schokolade, bevor ich wieder nach Hause fahre.

